In der Ausgabe November 2019 von AUF KURS wurde auf Seite 6 ein Auszug des Berichtes von Söhnke Helms veröffentlicht. Hier finden Sie nun den vollständigen Text:
Gegen das Vergessen! – Eine Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Auschwitz
„Those who do not remember the past are condemned to repeat it.“ (George Santayana)
Morgens um 07:00 Uhr ging es in Bremerhaven los. Das Ziel lag im Ausland und zwar in Polen. Es ging nach Krakau. Eine Jugendfahrt die anders werden sollte, als die üblichen Fahrten. Wir fuhren nach Krakau um nicht zu vergessen, was in der Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges schreckliches passiert ist.
Nach unserer ersten Nacht ging es nach einer kurzen Stadterkundung zum Treffpunkt mit unserem Stadtführer Christian. Christian zeigte uns das jüdische Viertel und erzählte uns viel von dem heutigen Leben der Juden in Krakau. Wie viele Synagogen es in Krakau gibt, haben wir erst mit dieser Führung festgestellt. Wir erfuhren viel über den aktuellen Lebensstil. Mitten auf der Straße haben wir uns in einen Kreis gestellt und sangen ein jüdisches Lied. Genau in diesem Moment ging eine bekannte jüdische Musikerin an uns vorbei, strahlte und man sah ihr an wie sehr es sie gefreut hat, dass uns ein paar der Traditionen übermittelt wurden. Zum Glück ist Christian nebenbei auch Musiker. So konnte er uns genau vormachen, wie sich das Lied anhört. Viele Schauorte von früher wurden uns im jüdischen Viertel gezeigt. Er erklärte uns auch, weshalb es im Judentum Brauch ist, keine Blumen, sondern Steine auf das Grab zu legen. Als Christian uns erzählt hat, dass der Friedhof der gerade vor uns liegt von den Nazis als Müllkippe genutzt wurde, haben wir das erstmal gespürt, was für grausame Dinge in dieser Stadt passiert sind.
Nach der Hälfte der Zeit überquerten wir einen Fluss und nun waren wir im ehemaligen Krakauer Ghetto. Es war für uns unvorstellbar, wie es sich hier für die vielen unschuldigen Menschen angefühlt haben muss. Vor einer Apotheke blieben wir stehen und Christian erzählte uns, dass der Apotheker Tadeusz Pankiewicz damals heimlichen vielen Juden das Leben gerettet hat und selbst, durch seine Lügen gegenüber den Nazis, sein Leben aufs Spiel gesetzt hat. Eine beeindruckende Geschichte, wenn man vor dieser Apotheke steht und gleichzeitig den großen Platz vor sich hat, auf dem sich zwischen 1941- 1943 die Juden versammeln mussten um dann zur Vernichtung in die Konzentrationslager gebracht wurden. Geendet hat die Stadtführung vor der Fabrik von Oskar Schindler. Es war eine sehr informative und intensive Stadtführung durch die wir direkt an die Schauplätze der damaligen Zeit gelangt sind. Es war auch eine Art Vorbereitung auf den kommenden Tag. Unser Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.
Auf dem Parkplatz standen viele Reisebusse. Irgendwie hatte man nicht das Gefühl, dass nur wenige Meter entfernt das Konzentrationslager von Auschwitz lag. Wir sagten uns, dass es gut ist, wenn viele Menschen die Gedenkstätte besuchen und so erfahren, was die Nazis für schreckliche Verbrechen verübt haben. Auf der anderen Seite nahm diese Masse an Menschen ein wenig den Charakter dieses Ortes.
Wir nahmen an einer geführten Tour teil und so gingen wir durch das Tor, welches wohl bei vielen Menschen mit dem KZ Auschwitz in Verbindung gebracht wird. „Arbeit macht frei“. Wir konnten nur erahnen wie sich die vielen unschuldigen Menschen gefühlt haben müssen, wenn sie täglich diesen Schriftzug gelesen haben.
Wir wurden durch mehrere Häuser geführt und sahen viele Bilder, original Dokumente und Schlafräume. In einem Raum lagen tausende Koffer. Man konnte die Namen der Besitzer*innen lesen. Tausende Schuhe, Haarbürsten, Eigentum der Gefangenen. Im nächsten Raum lagen über zwei Tonnen echtes Menschenhaar. Das Gefühl, welches wir in diesem Moment hatten, kann man nicht beschreiben. Man kann es einfach nicht verstehen. Uns wurde gesagt, dass insgesamt über 14 Tonnen Menschenhaar gefunden wurde.
Es ging weiter. Es gab keinen Ort, der nicht Zeugnis von schrecklichen Momenten gewesen ist. Wir liefen nicht durch Filmkulissen. Wir sahen original Schauplätze. Gefängnisse, die Todesmauer, Galgen. Und warum waren die Fenster häufig zugemauert? Damit die Gefangenen nicht mitbekommen, was draußen Schreckliches passiert. Ihnen wurde ja ein besseres Leben versprochen. Johann de Buhr beschrieb es wie folgt: „Die Brutalität und eine bis ins kleinste Detail perfekte Tötungsmaschinerie die in den Bildern und Erzählungen aus Ausschwitz und Birkenau zum Ausdruck kommt, stimmt in tiefe Trauer und kalte Wut.“ Auschwitz wirkte wie ein perfekt durchdachter Ort in dem die Nazis genau geplant haben was sie schreckliches vorhaben.
„Der nächste Ort ist ein Ort, an dem ich nichts sage. Er spricht für sich selbst“ sagte Ewa, unser Tourguide. Ja, er sprach für sich: Wir standen in einer Gaskammer. Was muss es für ein schreckliches Gefühl gewesen sein mit dem Gedanken einer frischen Dusche in diesen Raum zu gehen und dann zu merken, dass man umgebracht wird. Direkt im Nebenraum gingen wir an zwei Öfen vorbei. Das erste Krematorium von Auschwitz. Man kann einfach nicht verstehen, was Menschen zu solchen schrecklichen Dingen treibt.
Drei Kilometer entfernt waren wir nun im zweiten Teil der Gedenkstätte. In Birkenau. Wir gingen durch das große Holztor und sahen die Schienen. Die Größe dieses Ortes erschlug uns fast. Wir standen vor einem originalen Waggon und Ewa fragte uns, ob wir uns an das Bild erinnern auf dem hunderte von Juden standen. Aufgeteilt in zwei Gruppen. Männer, ältere Jungs und arbeitsfähige Frauen auf der einen Seite und der Rest auf der anderen? Wer zu schwach zum Arbeiten war entschied ein Nazi binnen einer Sekunde. Weg, weg, behalten, weg…
Ewa sagte, dass wir gerade genau an dieser Stelle stehen und nun den Weg laufen, die die Gruppe der nicht arbeitsfähigen Menschen gelaufen ist: Direkt aus dem Waggon in die Gaskammer wo sie vernichtet wurden.
Die großen Gaskammern in Birkenau sind zerstört. Übrig sind nur noch die zusammengestürzten Gebäude. Alleine die Vorstellung war für uns einfach nicht zu begreifen. Geendet hat die Führung in Birkenau in einer original erhalten Baracke. Diese Baracke diente dafür, dass ankommende Frauen die nicht direkt in die Gaskammer geführt werden konnten wie Tiere in einem Stall gehalten wurden, bis das Krematorium wieder Kapazitäten hatte um weitere Leichen zu verbrennen. Holzbretter die übereinander angebracht wurden. Auf jedem Brett mussten die Frauen zu viert schlafen. Ohne Decken. Ohne Essen. Ohne Licht. Die, für die kein Platz mehr war, musste im kalten Innenhof leben und erfroren teilweise schon dort.
Ewa beendete die Tour mit den Worten, dass wir nun nicht verstehen was damals an diesem Ort passiert ist, denn man kann es nicht verstehen. Sie hat Recht.
Wer die KZ-Gedenkstätte Ausschwitz und das Lager Birkenau besucht, der stellt sich viele Fragen. Warum? Wie hat das angefangen? Wieso konnte niemand es verhindern?
Es bleibt die erschreckende Erkenntnis, wie die nationalsozialistische und rassistische Ideologie Menschen dazu gebracht hat, Mord an Juden, an politischen Häftlingen, an Andersdenkenden, an Sinti und Roma zum Alltagsgeschäft zu machen.
Zurück in Krakau haben wir uns zusammengesetzt und hatten Raum und Zeit das Erlebte zu verarbeiten. Johann sagte: „Man darf dem Tod und dem Bösen nicht das letzte Wort lassen. Auch nicht den gegenwärtigen Tendenzen in der Gesellschaft und der Politik, mit dem Schüren von ausgesprochenen oder unausgesprochenen Ängsten Ausgrenzung, Intoleranz und Hass neuen Nährboden zu geben.“
Es war ein komisches Gefühl nun wieder in der Stadt zu sein, aber wir entschieden uns nochmal raus zu gehen um gemeinsam ins jüdische Viertel zu fahren. Dort haben wir einen klassischen polnischen Snack gegessen. Der Snack entpuppte sich allerding als sehr große Portion. Zapiekanki sind belegte Baguettes, sind knappe 40cm lang und reichlich belegt. Es war sehr lecker und satt waren wir definitiv.
Am Donnerstag sind wir in Kleingruppen durch Krakau gezogen. Wir haben viele unterschiedliche Dinge gemacht und besucht. Wir waren im Innenhof der Burg, in dem die Nazis damals ihre Paraden gefeiert haben, waren in einer alten Steinhöhle, haben über 15 Kirchen besucht, haben geschichtliches der Stadt und des Landes erfahren und haben die Vielfalt der unterschiedlichen Synagogen erleben dürfen. Am Abend haben wir uns dann in einem israelischen Restaurant getroffen und haben typische israelische und jüdische Speisen gegessen. Ein kulinarischer Exkurs, der allen sehr gut geschmeckt hat. Zurück in unserer Unterkunft haben wir uns in der Küche getroffen und eine schöne und musikalische Andacht gefeiert.
Am Freitag ging es dann wieder zurück nach Bremerhaven. Wir waren uns einig, dass es eine Fahrt war, die anders war als die, die wir bisher erlebt haben. Einig waren wir uns aber auch, dass es wichtig ist Schauplätze der Vergangenheit zu besuchen umso niemals zu vergessen, was der Nationalsozialismus und die Nazis für schreckliche und menschenunwürdige Verbrechen verübt haben.
Söhnke Helms | Stadtjugendreferent im Kirchenkreis Bremerhaven