Innenraum der Johanneskirche - Foto: Volker Nagel-Geißler

Weihnachtsgeschichten

Groß war der Karton mit der Aufschrift "Weihnachtsbaumschmuck" im Abstellraum der Paulus-Kirche. Wie der Name es verriet, wurden darin unzählige Tannenbaumkugeln, Strohsterne, Papierengel und Baumkerzen aufbewahrt. Im Januar waren sie nach getaner Arbeit von vielen fleißigen Mitarbeitern der Gemeinde in den Karton gelegt worden, um dann das Jahr über in der hintersten Ecke des Abstellraumes zu warten. Die meiste Zeit hatten die Engel, Sterne, Kugeln und Kerzen verschlafen, weil sie sich von ihrem Einsatz im letzten Jahr erholen mussten. Doch nun im Dezember bereiteten sie sich auf ihren nächsten großen Auftritt vor. Es wurde viel spekuliert. Wie groß würde der Baum in diesem Jahr wohl sein? Kam er hier aus dem Dorf oder war er weit gereist? Würden seine Nadeln auch so piksen? Doch die Frage, die sie am meisten diskutierten, war: Welcher Baumschmuck war der Wichtigste?

In dem Karton war ein großes Durcheinander. Die Stimmung schaukelte sich auf. Die dicke rote Kugel, die besonders glänzte, rief: "Wir Kugeln sind natürlich die wichtigsten. Durch uns wirkt der Baum weihnachtlich. Wir geben dem Baum Farbe und einen würdigen Glanz." Die Chefin der Strohsterne rief empört: "Was bildet ihr Kugeln Euch eigentlich ein? Euer Glanz ist doch nur Fassade. Ihr spielt ja nicht einmal eine Rolle in der Weihnachtsgeschichte! Der Stern ist wegweisend an Weichnachten. Ohne den Stern über der Krippe hätten die Hirten den Weg zum Christkind niemals gefunden. Wir Strohsterne sind doch eindeutig die wichtigsten." Das konnten die Engel natürlich nicht einfach so stehen lassen un der dickste von ihnen ergriff das Wort: "Moment, liebe Sterne, der Stern von Bethlehem ist zwar wichtig, aber ihr überseht etwas ganz Entscheidendes. Ohne die Engel hätten die Hirten ja nicht einmal gewusst, dass sie zur Krippe gehen sollen. Damit ist doch bewiesen, dass wir die wichtigsten am Baum sind." Jetzt mischte sich auch eine der Kerzen ein und sagte schnippisch: "Ich möchte euch nur daran erinnern, wer euch alle ins rechte Licht setzt. Erst durch unseren Schein, bekommt ihr euren Glanz. Ich muss ja wohl nicht weiter erklären, warum wir die wichtigsten am Baum sind, oder?" So ging es hin und her. Die Kugeln, Sterne, Engel und Kerzen stritten immer lauter.

Plötzlich ertönte eine laute, tiefe und ruhige Stimme. Die Tannenbaumspitze - sie war schon sehr alt - hatte sich die Diskussion eine ganze Weile mit angehört. In ihrer Karriere hatte sie schon viel anderen Weihnachtsbaumschmuck kommen und gehen gesehen und konnte das Gezanke nicht länger ertragen: "Jetzt ist aber Ruhe im Karton! Ihr hört mir nun alle ganz genau zu. Seit Jahrzehnten sitze ich oben auf der Baumspitze und habe Jahr für Jahr an Heiligabend den ganzen Baum und die Gemeinde im Blick. Und ich kann euch sagen:

Wie wunderbar seid doch ihr Strohsterne! Ja, ihr seid die Verbindung zu dem großen Stern. Ihr leitet den Blick der Menschen auf das Wesentliche des Weihnachtsfestes: Gott kam als Mensch auf die Erde.

Und wie sehr freue ich mich doch über euch Papierengel! Der Engel sagte damals zu den Hirten: "Fürchtet euch nicht! Ich bringe euch eine große Freude." Ihr erinnert die Menschen daran, dass Weihnachten etwas wirklich Tolles geschehen ist. Ihr macht das Fest zu einem fröhlichen Fest.

Liebe Kugeln, ich freue mich, dass ihr mit mir am Weihnachtsbaum hängt! Wenn die Menschen nämlich dicht genug an den Baum herantreten, sehen sie sich selbst in euch. Ihr zeigt ihnen den Grund, warum und für wen Gott Mensch wurde.

Zu guter Letzt, ihr Kerzen, schön, das ihr dabei seid! Euer Licht ist ganz besonders. Duch euch können die Menschen fühlen, was es bedeutet, dass Gott als Mensch auf die Erde kam. Euer warmer Schein lässt die Augen der Menschen strahlen. Ihr habt eine solche Kraft, dass ihr die Menschen auch innerlich verändern könnt. Wenn sie andächtig in euer Licht blicken, kommen sie zur Ruhe. Ihr könnt die Herzen weit machen. Sie könne auch selbst zum Licht werden und es an andere witergeben.

Würde auch nur eine Gruppe von euch fehlen, so wäre die Weihnachtsbotschaft am Baum nicht vollständig. Also, hört auf zu streiten und freut euch auf Weihnachten!"

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2020

Es ist die Nacht der Nächte. So sagt man. Seit langer Zeit warten die Menschen auf diese Nacht und auf den Tag, der darauf folgen soll, folgen muss. Denn so wird es prophezeit: Ein Kind soll geboren werden in dunkler Nacht, das das Ungerade gerade macht, das unglückliche Menschen froh und böse Menschen gut machen wird. Es soll den Frieden bringen, heißt es.

Darauf warten wir alle. Wir warten in Bethlehem und Nazareth, wir warten in Jerusalem und in Jericho und in all den kleinen Orten, überall. Und wir warten nicht nur in Israel, wo das Kind auf die Welt kommen soll. Nein, die ganze Welt wartet. Überall, wo es dunkel ist um die Menschen, in den Menschen, da warten sie auf das Licht, das mit diesem Kind kommen soll.

Und so warten wir, voller Sehnsucht. Ich lebe mit meiner Familie in Bethlehem, diesem Ort, dessen Name »Haus des Brotes« bedeutet. Aber oft genug haben wir kein Brot. Wir wohnen ganz am Rand des Ortes, wo alle die leben, bei denen es wenig Brot und viele Kinder gibt. Eigentlich warten wir unser ganzes Leben lang: dass es besser wird, dass es Arbeit und Lohn gibt, dass ich meine Familie satt bekomme, dass meine Kinder einmal mehr Hoffnung haben als ich.

Und nun soll dieses Kind kommen. Jesaja hat es vorausgesagt. So erzählen sie es im Tempel. Seit hunderten von Jahren reden sie davon, und nichts ist geschehen. Nichts hat sich geändert für uns, hier am Rand. Was soll so ein Kind auch ändern können. Davon haben wir so viele hier, und das einzige, was sich ändert ist, dass das wenige Brot in noch kleinere Stückchen geteilt werden muss. Was wir nicht brauchen, ist noch ein Kind. Wir bräuchten einen König, der für uns kämpft. Aber das haben Könige eigentlich noch nie getan, für die an den Rändern zu kämpfen.

Die Nacht der Nächte. Ein Kind. Licht in der Dunkelheit. Frieden. Ich warte. Auf irgendein Zeichen. Auf einen Hinweis, dass Jesajas Worte doch etwas bedeuten, für uns hier, für mich, für meine Familie. Aber es geschieht – gar nichts. Es ist Nacht, und es bleibt Nacht. Kein Licht zu sehen. Nur Dunkelheit.

Oder – was ist das da, draußen auf den Feldern? Es ist doch noch nicht Morgen. Aber da ist ein ganz seltsames Leuchten. Kein Wetterleuchten oder Gewitter; dies Licht sieht ruhig und warm aus und macht keine Angst. Meine kleine Tochter Ruth steht plötzlich neben mir und fragt: »Was ist das? Wieso ist da Licht? Da sind doch nur die Felder. Wollen wir mal hingehen?« Sie fürchtet sich offenbar kein bisschen. Sie nimmt mich bei der Hand. Alle anderen schlafen, als Ruth und ich losgehen, auf das Licht zu. Es ist gut zu erkennen. Und bald sehe ich etwas, was ich mir nicht erklären kann. Ruth flüstert mir zu: »Siehst du auch die Engel? Guck doch, da oben, ganz viele! Und ich höre sie singen!«

Engel? Hier, am Rand der Ränder, in der Nacht der Nächte? Ich höre nichts davon. Ruth zieht mich trotzdem weiter, auf die Engel zu. Aber bevor wir ganz dort sind, sind sie auch schon weg – falls es denn welche waren. Es ist wieder dunkel, wie immer. Ruth ist ganz aufgeregt. »Guck doch, da kommen Leute! Ich glaube, Jakob ist dabei. Der ist ja bei den Hirten draußen. Ich frag ihn mal, wo sie jetzt hingehen, mitten in der Nacht.«

Ruth läuft auf Jakob zu, ihren Freund aus der Nachbarschaft, den Hirtenjungen. Sie reden leise miteinander, und dann kommt Ruth zu mir zurück: »Da ist ein Kind auf die Welt gekommen, das Gottes Sohn ist. Er ist dahinten, in dem alten Stall, neben der Hütte von Samuel. Das haben die Engel gesungen, bei den Hirten draußen. Komm mit, ich will es sehen.«

Ich kann gar nicht anders, ich muss mit. Nicht nur, weil Ruth mich einfach mitzieht, ich will nun auch selber sehen, was das für ein Gotteskind ist, ob da wirklich ein Kind ist, in Samuels altem Stall. Ein König, der für uns kämpft, ist das bestimmt nicht. aber immerhin hat es ein Zeichen gegeben – Engel sind ja wohl eins, Gottes Boten. Und so laufen wir zum Stall und gehen auf Zehenspitzen hinein, zusammen mit den Hirten.

Da liegt das Kind. Ganz winzig, wie jedes Baby. Ist das die Nacht der Nächte, das Licht in der Dunkelheit? Es ist ein Kind, in einem Stall, in einer Futterkrippe liegt es. Auf jeden Fall ist es nahe bei uns, am Rand. Und ich spüre, wie Ruth bebt, wie sie etwas erkennt, was ich noch nicht sehe, aber doch ahne: dies Kind ist Gottes Sohn, und er ist gekommen, wie es gesagt war. Ja, dies ist die Nacht der Nächte und das Ende der Nacht für uns. Bestimmt!

Pastorin Lilo Eurich

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2023

Aaron sitzt am Feuer. Aber er friert trotzdem bis ins Mark. In seinem Alter hat er der Nacht nicht mehr viel entgegenzusetzen. Zu viele Nächte in zu vielen Jahren ist er jetzt hier draußen auf dem Feld und hütet die Schafe und Ziegen der Menschen aus Bethlehem und den kleinen Dörfern ringsum. Er hat vergessen, wie viele Jahre es sind, wie es ist, in einem festen Haus zu wohnen.

Als er ein Junge war, hatte er Pläne, wollte er berühmt werden, am Tempel arbeiten, Gott dienen. Aber sein Vater starb früh, und er musste für seine Mutter und die kleinen Geschwister sorgen. Hirte wurde er, da war er 12 Jahre alt. Damit konnte er ihr Leben sichern, so gerade eben jedenfalls. Für mehr hatte es nie gereicht. Und für etwas anderes auch nicht. Seine Pläne waren auch gestorben. Er blieb Hirte, blieb arm und allein.

Und so kauert er an dem kleinen Feuer, zusammen mit Shimon, Elia und dem jungen Amir. Der ist genau so alt wie er damals. Und er hat noch das Hoffnungslicht in den Augen, wenn er von seiner Zukunft spricht. Bei Aaron ist das lange erloschen.

Es ist dunkel, in Aaron und um ihn herum. Die Flämmchen erhellen kaum die Gesichter der Hirten. Leises Blöken der Tiere klingt um sie, friedlich, schläfrig. 

Es ist eine Nacht wie tausend andere zuvor. Aaron ist müde, aber schlafen darf er nicht. Es gibt Wölfe, Schakale, Füchse, die sich gern ein Lamm holen, wenn sie können. Die Hirten sind verantwortlich für die Tiere. Dafür werden sie bezahlt. Und so stupst er den kleinen Amir an, dem auch die Augen zuzufallen drohen. Wenn das einer merkt, gibt es Ärger. Er blinzelt ihm zu, will ihm Mut machen in der dunklen Nacht und dem dunklen Leben.

Da wird es auf einmal hell! Amir schreit und springt auf, Shimon fällt rückwärts um, und Elia und Aaron können sich vor Schreck gar nicht rühren. Das Licht kommt von oben, vom Himmel. Es strahlt so, dass Aaron kaum hinschauen kann. Aber es ist noch mitten in der Nacht! »Ich hab doch nicht geschlafen«, denkt er, »dass nun schon Morgen ist?« Plötzlich hört er etwas aus dem Licht heraus, ein Singen, wie er es noch nie gehört hat. Es klingt so anders als ihre Hirtenlieder, auch anders als die Gesänge der Priester im Tempel oder die Lieder seiner Mutter früher. Es klingt so hell, klingt – wie Licht! Anders kann er es nicht beschreiben. Aber Licht, das klingt – gibt es das? Jetzt erkennt Aaron wieder etwas. Amir, Elia und Shimon stehen neben ihm und gucken nach oben. Dort steht einer – im Himmel. Und es ist Aaron vollkommen klar, dass das ein Engel sein muss. Genau so hat er sich die immer vorgestellt, so licht und leicht. 

Der Engel sagt etwas. Aaron hört nicht mehr so gut wie früher, aber diese Worte versteht er so klar wie niemals zuvor in seinem Leben irgendein Wort: »Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.«

Aaron fällt nun auch fast um. Was sagt der da? Nicht fürchten – große Freude – Heiland geboren – ihr werdet finden. Er starrt nach oben zu dem Engel – nein, zu den Engeln, denn es sind plötzlich viele, die singen: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!«

Irgendwann ist der Gesang zu Ende, und die Engel sind alle fort. Es ist wieder dunkel, Nacht. Die Männer setzen sich ums Feuer. Zunächst kann keiner etwas sagen. Amir schaut von einem zum anderen, aber er traut sich nicht, zuerst das Wort zu ergreifen. Auch Shimon und Elia blicken zu Aaron, dem ältesten. Was sagt er?

Aaron schweigt, fühlt, denkt, horcht den Worten nach. Und dann beginnt er zu sprechen: »Ihr werdet finden. Das hat der Engel gesagt. Wir sollen da hingehen, in Davids Stadt, nach Bethlehem. Und das Kind kann nur in einem Stall sein, denn es soll in einer Krippe liegen. Das hat nicht mal ein Bett, kein Haus. Das ist einer wie wir.« Amir ist so aufgeregt: »Dann los, kommt, ich will das Kind sehen! Wenn der Engel es uns sagt, dann müssen wir doch gehen, rennen! Der kommt doch von Gott! Der meint wirklich uns! Nun kommt doch endlich, sitzt hier nicht rum! Gottes Kind und wir und Engel – das war doch kein Traum! Der war echt da, und er hat uns Hirten gemeint. Kommt mit!«

Aaron sieht den Funken in Amirs Augen. Und in dieser Nacht kann er glauben, dass das Licht für diesen Jungen leuchten wird, in seinem Leben, für seine Zukunft. Diese Nacht mag wahrlich etwas verändern – vielleicht für sie alle, vielleicht für Amir.

Shimon und Elia schauen Aaron an. Und er sagt: »Kommt! Wir gehen nach Bethlehem und schauen uns das an. Wir brauchen uns nicht mehr zu fürchten. Wir haben den Engl gehört. Also kommt!«

Pastorin Lilo Eurich

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2021

Maria sitzt in ihrem Haus und zittert: vor Erregung und auch aus Angst. Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Engel zu Besuch kommt, ein Bote von Gott. Aber er war da. Sie hat ihn gesehen und gehört. Er hat mit ihr gesprochen, und was er gesagt hat, ist so unglaublich, dass sie es sich immer wiederholen muss, damit sie es begreifen kann: »Fürchte dich nicht! Du wirst schwanger werden und einen Sohn bekommen. Den sollst du Jesus nennen. Er wird Gottes Sohn sein. Und er wird für ewig König in einem Reich sein, das ohne Ende ist.«

Maria kann es nicht fassen. Sie, die kleine Frau aus dem Volk, die einfache Hausfrau ohne irgendwelche besonderen Gaben oder herausragenden Glauben – sie soll Gottes Sohn zu Welt bringen. Das ist nicht zu begreifen. Maria sagt sich die Worte des Engels vor, immer wieder. Nichts anderes hat in ihren Gedanken mehr Raum. Es braucht wohl Zeit, so etwas zu erfassen, zu verstehen und es anzunehmen.

Noch ist Maria nicht so weit. Sie hat so viele Fragen, die der Engel ihr nicht beantwortet hat. Wie wird ihr Mann Josef das aufnehmen? Was wird er denken von ihr? Wie soll sie ihm das erklären: Du wirst einen Sohn bekommen, den sollst du Jesus nennen, Gottes Sohn. Kein Wunder, dass Maria zittert.

Doch da ist auch etwas in ihr, dass sie vertrauen lässt. Wenn Gott einen Engel schickt, kann er es nur gut meinen.

Sie spricht mit Elisabeth, ihrer vertrauten Freundin. Sie erwartet auch ein Kind. Die normalen Ängste einer jungen Frau kann sie gut verstehen. Aber als Maria vor ihr steht, spürt sie das Besondere, das von Maria ausgeht, das sie umgibt wie eine leuchtende, warme, strahlende Wolke. Da ist etwas, was sie noch nie bei einem Menschen erlebt hat. Elisabeth spürt Gottes Nähe in Maria. Darum vertraut sie darauf, dass er bei ihr sein wird, ganz gleich, was geschieht. Darüber sprechen die beiden Frauen, immer wieder, bis Maria nach Hause zurückkehren kann.

Josef sieht Maria an, als sie zu ihm kommt. Er versteht nicht, was passiert, aber er versteht, dass etwas Besonderes mit seiner Frau geschehen ist. Er weiß es. Sie sagt, was sie erlebt hat, mit dem Engel. Und sie wiederholt für ihn, was der Engel ihr gesagt hat: ein Sohn, der Jesus heißen soll und Gottes Sohn ist.

Maria ist anders als zuvor. Sie ist nicht mehr zittrig. Sie hat eine ganz neue Sicherheit gewonnen. Das merken alle, die ihr begegnen. Sie ist nicht überheblich. Sie ist erfüllt von dem, was geschieht.

Das Kind wächst in Maria, wie jedes Baby. Es beginnt in ihr zu strampeln. Maria fühlt es und lässt es auch Josef spüren, mit seiner Hand auf ihrem Bauch. Sie wird Mutter. Josef wird Vater. Das Kind ist sein Kind und Gottes Kind. Da kann doch nichts passieren!

Doch es ist schwer. Maria und Josef müssen nach Bethlehem gehen. Der Kaiser hat eine Volkszählung angeordnet, und ihm ist es egal, ob eine Frau schwanger ist. Maria ist wütend auf den Kaiser, der ihr und so vielen Menschen so viel zumutet. Aber machen kann sie nichts dagegen. Befehl ist Befehl.

Sie kommen nach Bethlehem, in Davids Stadt, wo Josefs Familie herkommt. Alle Welt scheint unterwegs zu sein, es ist nirgendwo ein Platz für sie. Da verliert sie fast den Mut. Sie kann einfach nicht mehr, die Geburt steht kurz bevor.

Ein Stall ist alles, was sie finden. Nicht schön, um ein Kind zu gebären. Es riecht streng, es gibt Tiere, große und kleine, es ist schmutzig. Hier soll mein Sohn, soll Gottes Sohn auf die Welt kommen, denkt Maria. Aber viel Zeit zum Denken bleibt ihr nicht, denn nun wird Jesus geboren…

Als sie zu sich kommt, liegt ihr kleiner Sohn in der Futterkrippe, aus der sonst die Tiere fressen. Josef hat Heu und Stroh hineingetan und das Kind in seiner Decke daraufgelegt. Es schläft friedlich. Maria richtet sich auf und schaut ihn an, ihren kleinen Jungen. Er sieht friedlich aus und irgendwie gar nicht besonders. Wie ein Baby eben. Sie sucht unwillkürlich nach so etwas wie einem Heiligenschein. Irgend etwas Leuchtendes hat sie erwartet für dieses Kind. Aber da liegt einfach ein schlafendes Kind im der dunklen Nacht, in einer Krippe in einem Stall in Bethlehem.

Maria schaut. Und schaut. Irgendwann merkt sie, dass sie nicht mehr allein sind, dass da Männer im Stall sind und ihr Kind betrachten, voller Zärtlichkeit, voller Staunen. Sie fragt nicht; sie weiß, dass sie es wissen, was für ein Kind dieser kleine Junge ist. Sie spürt, wie wichtig er ihnen ist, gerade ihnen.

Sie wünscht ihm, dass er seine Aufgabe im Leben findet, für diese rauen, sanften Männer, die ihr Kind im Stall besuchen; für Josef, der Vater von einem Sohn ist, den er mit einem anderen Vater teilt; für sie, seine Mutter, die immer für ihn da sein wird, was auch geschieht. Und sie versteht: es muss hier sein, im Stall, wo die Heiligenscheine unter Heu verborgen sind, wo Platz ist für die, die sonst keinen Raum in den Herbergen der Welt finden – hier, wo Gott den Menschen nahe kommen kann in einem kleinen Kind.

Pastorin Lilo Eurich

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2020

Alle Jahre wieder hole ich meine kleinen Engel aus den Schlafkisten, um sie zu einem Orchester auf die Wolke zu stellen. Von den meisten weiß ich noch, wann und wo ich sie gekauft habe. Eine ganz besondere Erinnerung habe ich an die Orgel.

Zu meinem Geburtstag 1972 bekam ich von der Diakonin der Matthäuskirche einen kleinen Engel geschenkt, mit einer Blockflöte. Ich unterrichtete damals Kinder auf diesem Instrument. Dieser Engel war der Grundstock für mein bis heute geliebtes Sinfonieorchester. In Bremerhaven gab es damals nur ein Geschäft in der Alten Bürger, die diese Wendt & Kühn-Engel führte. Ein Besuch dort in der Weihnachtszeit war ein MUSS.

Bei einem meiner Besuche und schon um etliche Engel reicher, fiel mein Blick auf die Orgel. Eine Spieluhr, die "Stille Nacht" spielte. Ein Blick auf den Preis verschlug mir den Atem: 120,00 DM. An einen Kauf war nicht zu denken!

Wochen später, Weihnachten war längst vorbei, war ich wieder in dem Kunstgewerbegeschäft und was sehe ich? "Meine" Orgel! Sie war also nicht verkauft worden. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sprach die Inhaberin darauf an, ob - wenn ich ihr jeden Monat 10,00 DM bringen würde - sie mir die Spieluhr bis zur nächsten Weihnacht reservieren würde? Sie tat es. Und jedes Jahr, wenn ich die Orgel auspacke, um sie in meine Dekoration zu stellen, denke ich daran.

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" Weihnachten 2022

Ihr alle habt schon von fliegenden Rentieren, helfenden Elfen und niemand geringerem als dem Weihnachtsmann gehört. Aber kennt ihr auch die Nebelwichte? Das sind kleine Wesen, die heimlich unsere Weihnachtsfeste verschönern, ohne dass wir es jemals wussten.

Wenn die morgendlichen Stunden sich im Winter in weiche, undurchsichtige Watte hüllen, fühlen sie sich am sichersten - dann kann man sie machmal, wenn man früh genug aufsteht, durch die Wälder huschen sehen. Aber Achtung: Sie sind nicht leicht zu erkennen, denn es gibt sie in vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen.

Manche von ihnen leuchten und fliegen wie Glühwürmchen, einige haben einen großen, steinernen Körper (diese bleiben logischerweise am Boden), wieder andere haben die Fähigkeit sich zu tarnen und sind deshalb erst von einer Handvoll Menschen entdeckt worden - unter anderem von einem überraschten Pilzsammler, der beinahe einen verschluckt hätte. Ansonsten sind sie eher inkognito unterwegs und gehen fleißig ihrer Arbeit nach.

Aber, was tun solche Wichte denn eigentlich? Im Grunde haben sie eine leichte Aufgabe: erspähen, prüfen, ernten. All die schönen Dinge, die der berühmte vollgepackte Weinachtssack in sich verbirgt und den der Weihnachtsmann scheppernden Schrittes "drauß vom Walde" bis in jedes Dorf und jede Stadt trägt, wurden sorgfältig von ihnen beäugt und ausgewählt. Kastanien, Tannenzapfen und rote Beeren purzeln nach und nach zu Boden und werden behutsam eingesammelt.

Nun machen sich die Flugwichte auf den Weg und transportieren das frisch geerntete Gut zum Weihnachtsmann. Dicht an dicht flirren sie durch die eisige Dezemberluft, schubsen manchmal im Vorbeifliegen ein kleines Häufchen Schnee von einem Ast und machen sich einen Spaß daraus, wenn dieser den freiliegenden Nacken eines Menschen trifft.

Die Stein- und Tarnwichte kennen die beliebtesten Wanderwege und verstreuen ihren Teil der Ernte am Rande eines jeden Pfades, damit eifrige Wanderer "ganz zufällig" beim Spazierengehen DIE perfekte Kastanie für den selbstgemachten Adventskranz finden können.

Ist die Arbeit für diesen Tag erledigt und die Waldluft langsam immer durchsichtiger, finden sie sich alle im Wipfel eines großgewachsenen Baumes zusammen, trinken und essen von einer reicht gedeckten Tafel aus Raureif und roten Beeren und feiern gemeinsam ein kleines Feierabendfest.

Diesen Ablauf wiederholen sie von Beginn der Adventszeit bis zum 24. Dezember Tag für Tag, Jahr für Jahr.

Wenn ihr also das nächste Mal durch den Wald spazieren geht und eine verdächtig perfekte Kastanie auf eurem Weg entdecken solltet, hat sie ganz bestimmt einer der eifrigen Kelchen für euch an genau dieser Stelle liegen gelassen und schmunzelt nun, hinter einem Pilz versteckt, zufrieden in seinen kleinen Nebelwichtbart.

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" Weihnachten 2022

Wie die kleine Fee Lumi einem kleinen Mädchen einen unvergesslichen Nachmittag bereitet.

Die Fee Lumi ist eine sogenannte "Eis-Fee". Sie hat schon viele Winter beschworen. Jedes Jahr helfen hunderte von Feen den Tieren sich winterfest zu machen, schütteln die orangenen Blätter von den Bäumen und beginnen die Luft kühler zu zaubern. Wenn es dann langsam immer kälter wird, beginnen die Vorbereitungen für den ersten Schnee. Seit Jahrhunderten macht Lumi schon diesen Job. Sie liebt ihn sehr. Es ist ihr als Eis-Fee in die Wiege gelegt worden.

Dieses Jahr ist für Lumi jedoch etwas besonderes. Gerade als sie mit den Vorbereitungen beginnen wollte, trifft sie ein warmer Sonnenstrahl. Zu warm. Zu dieser Jahreszeit sollte es kühler sein. Die Sonnen-Feen haben ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen. Die Tiere benötigen noch mehr Zeit, sich ihre Vorräte zu sichern. Generell ist dies kein Problem. Ein Tag Sonne mehr oder weniger. Jedoch war dies nicht so. Die Sonne schien noch ein paar Wochen länger. Lumi gefiel dies gar nicht. Sie liebte den Schnee. Den Menschen um sie herum schien die Sonne aber zu gefallen. Dafür hatte Lumi gar kein Verständnis.

Mit Traurigkeit im Herzen flog sie durch die Gegend, um sich abzulenken. Was sie fand, ließ ihre Traurigkeit schwinden und füllte sie mit Glück. In einem kleinen Örtchen sah Lumi ein Mädchen im Garten. Es war Anfang Dezember.

Das Mädchen war genauso unbegeistert wie sie, noch keinen Schnee zu sehen. Lumi hörte das Mädchen ihrer Mutter zurufen: "Mama! Mama! Ich warte doch schon so lange! Ich habe meinen Schlitten geputzt und meine dicke Jacke rausgesucht. Es ist Zeit für Schnee! Es ist meine Lieblings-Jahreszeit!" Lumi war so fröhlich. Sie hatte eine Gleichgesinnte gefunden. Plötzlich kam ihr eine Idee: Wenn sie schon nicht die Winterzeit einläuten konnte, könnte sie wenigstens ihre Magie nutzen, um dem Mädchen und sich selbst eine kleine Freude zu bereiten.

Sie sah, wie das Mädchen traurig ins Haus ging. Nun war ihre Chance gekommen. Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und verzauberte den Garten. Aus einem grünen Rasen wurde in wenigen Sekunden eine weiße Schnee-Landschaft. Wenn das jemand gesehen hätte, würde er denken, er wäre verrückt. Alles war grün in der Nachbarschaft. Nur dieser eine Garten war weiß geworden. Zum Glück war das Haus etwas abseits. Sie könnte hierfür viele Probleme bekommen.

Lumi versteckte sich in einem Baum und wartete und wartete. Doch niemand kam heraus. Das Mädchen hatte es nicht bemerkt. Lumi war schon ziemlich ausgelaugt. Immerhin hatte sie ganz alleine viel Schnee hergezaubert. Sie nahm ihre letzte Kraft, zauberte einen Schneeball und warf ihn an das Fenster des Mädchens.

Und dann sah sie etwas, was sich Lumi für immer merken würde: das Gesicht des Mädchens, als sie den Garten sah. So viel Freude und Glück hatte sie schon lange nicht mehr auf den Gesichtern der Menschen gesehen. Das Mädchen war in wenigen Sekunden draußen und spielte den gesamten restlichen Tag im Schnee, bis dieser durch die Sonne geschmolzen war. Lumi wusste, es war die richtige Entscheidung, ihre Kräfte einzusetzen. Für sie und für das Mädchen. Egal wie viele hundert Winter sie noch verzaubern würde, dieser würde auf ewig ihr liebster sein. Ihr eigener kleiner Winter in dem kleinen Garten.

Autorenteam: Fabienne Rüsch und Alexander Duetsch aus Schiffdorf

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" Weihnachten 2022

»Das war mein allerschönstes Weihnachtsfest« sagte er. Paul, so hieß er, hatte damals am Fenster gestanden und sehnsüchtig nach draußen geschaut. Er war damals ein kleiner blonder Junge von gerade vier Jahre gewesen. Die ganze Adventszeit stand er damals immer wieder am Fenster und hielt Ausschau. Er musste sich dazu einen kleinen Hocker ans Fenster stellen. Seine Mama, die er über alles liebte, war so traurig, weil ihr Mann schon so lange weg war. Paul kannte ihn noch nicht. Für ihn war das nicht so schlimm, aber auch wenn sie es ihm nicht zeigen wollte, war seine liebe Mama immer traurig. Und darum hatte sich der kleine Paul von allen – vom Christkind, vom Weihnachtsmann, von Gott selbst und allen seinen Engeln – nur eine Sache gewünscht, dass sein Vater endlich nach Hause käme. Und dann war Heiligabend, Paul stand wieder auf seinem Hocker und schaute und dann lief da ein Mann in alter Uniform auf ihr Haus zu. Ja, er tanzte fast. Und da wusste Paul, dass sie ihn erhört hatten. Diesen fremden Mann lernte er nun erst kennen, aber durch die Freude seiner Mutter war es sofort das schönste Weihnachtsfest aller Zeiten.

Paul und ich unterhielten uns an jedem Abend. Oder, wie ihr sagen würdet: an jedem Morgen. Ich kam immer kurz vorbei, bevor ich nach Hause flog, um mit den anderen aus meiner Familie tagsüber abzuhängen.

Vor vier Wochen war er mir aufgefallen, wie er gegen fünf Uhr morgens so traurig aus dem Fenster schaute. Ich flog einfach durch ein Fenster in seine Wohnung. Ihr Menschen seid schon komisch, dass Ihr nachts immer die Fenster auflasst. Ich flog also hinein und versteckte mich. 

Wir Kirchenfledermäuse können ja, wenn wir uns Mühe geben, mit den Menschen reden. Und so fasste ich mir Mut und fragte ihn, warum er so traurig sei. Er war gar nicht erstaunt, warum ihn da eine kleine Fledermaus ansprach. Ich verstand erst später, dass er so schlecht sehen konnte, zumal es für Menschenaugen stockdunkel war. Er fragte mich und hatte plötzlich ein Lächeln im Gesicht: »Bist Du eines von seinen Geflügelten Wesen?« Ich verstand natürlich, dass er mich für einen Maleach [Anm.: d. Red. So nennen die Fledermäuse »Engel«] hielt, und frau soll ja nicht lügen, aber eigentlich war das ja genau die richtige Beschreibung: Geflügeltes Wesen stimmte. Und sind wir nicht alles Gottes Geschöpfe? So kamen wir ins Gespräch. Nach ein paar Abenden musste ich ihm dann doch gestehen, dass ich kein Maleach bin, sondern nur zum geflügelten Bodenpersonal gehöre. Ich wurde knallrot dabei, was man bei meinem Fell natürlich nicht sieht. »Das weiß ich doch schon längst!« sagte Paul leise und lächelte. Mittlerweile war es auch viel heller in der Wohnung. Wir hatten über Advent und Weihnachten gesprochen und ich hatte ihn überzeugt, doch ein paar Kerzen anzuzünden. Nachdem zwischen uns klar war, dass ich eine Kirchenfledermaus bin, konnte ich ihm nun auch endlich die richtige Weihnachtsgeschichte erzählen, wie sie meine Ur-ur-ur-ur-ur- [Anm. d. Red.: Hier stark gekürzt] -großmutter selbst miterlebt hatte, als der große Maleach die Tiere aus den Stall verscheuchte und sie sich unter den Maleachim versteckte und die Geburt jenes Menschenjungen miterlebte. Und Paul erzählte mir von jenem Weihnachtsfest vor 74 Jahren, an dem sein Vater nach Hause kam, und von vielen weiteren mit seiner Frau und mit seiner Tochter und dann mit seiner Enkelin. 

An einem Morgen fragte ich ihn, was denn der Grund war, warum er so traurig gewesen sei, als ich das erste Mal zu ihm kam. »Weil ich immer so alleine war«, sagte er. Vor Heiligabend aber hatte er immer noch richtiggehend Angst. Letztes Jahr sei es furchtbar gewesen. Seine Tochter mit ihrem Mann wohne gar nicht so weit weg und deren Tochter und der kleine Max, sein Urenkel, nur eine Straße weiter. Und plötzlich tauchte eine Erinnerung auf, an einen kleinen blonden Jungen von vier Jahren, der am Fenster stand und Ausschau hielt. Ich hatte ihn gesehen, ein paar Straßen weiter, ob das Pauls Urenkel war? »Weißt Du, Uiiih, ich war schuld,« sagte Paul. »Wir haben uns gestritten, mein Schwiegersohn und ich. Er war sehr böse auf mich und hat dann gesagt, dass meine Tochter und meine Enkelin sich entscheiden müssten, mit wem sie Weihnachten feiern wollten. Und da war ich so erschrocken, dass ich ihn noch mehr beschimpft habe. Nun habe ich meine ganze Familie seither nicht sehen dürfen. Hygieneregeln hieß es dann nur, sie wollten mich schützen.« Ich schwieg ganz erschrocken. »Aber Du hast mir diese Tage viel leichter gemacht, Uiiiih..« Nun überlegte ich hin und her, was ich tun könnte. Ich konnte mich ja nicht schon wieder als Maleach [Engel] ausgeben. Stattdessen versuchte ich es, wie Paul damals, ich sandte einen Hilferuf an AEIOU [das bedeutet, »der alles in allem ist«, also Gott] und ihre Maleachim [die Fledermäuse glauben, Gott sei weiblich. Und Maleachim sind die Engel, wisst ihr ja]: »Bitte, Ihr müsst dafür sorgen, dass seine Tochter ihn zu Weihnachten einlädt! Vielleicht mit einem Brief? Und könnte ihr mir vielleicht nicht übelnehmen, dass ich mich als Engel ausgegeben habe?"

Ich hatte ganz inbrünstig gebetet und wartete nun geduldig. Morgen für Morgen besuchte ich Paul und seine Wohnung wurde immer heller, auch eine Krippe stand nun da. Dann kam der Heilige Abend. Aber morgens war noch kein Brief gekommen. So flog ich nachmittags nochmal hin. Freudestrahlend empfing er mich. »Schau mal, meine Enkelin hat geschrieben.« Er hielt mir den Brief hin und las: »Lieber Opa Paul, ich halte das nicht mehr aus. Auch Max fragt jeden Tag nach Dir, obwohl er noch so klein war, als er Dich zuletzt gesehen hat. Komm heute Abend um 6 Uhr zu Mama. Ich kläre das mit Papa. Wir testen uns alle und außer Max sind alle geimpft. Ich kann nicht noch einmal ohne dich.« Er trocknete sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und entschuldigte sich, dass er nun losmüsse. Plötzlich haute er sich an die Stirn. «Ich habe gar keine Geschenke besorgt!« rief er und wurde ganz weiß im Gesicht. Ich lachte. »Paul, wenn Du heute hingehst, dann gibt es nichts Schöneres, was Du irgendwem dort schenken könntest.« So machten wir uns auf den Weg. Ich flog mit, weil ich doch sehen wollte, wie es ausgeht. Auf dem Weg allerdings begann ich mir große Sorgen zu machen. Ob denn die da oben im Himmel alles gut geplant hatten? Wenn sie den Brief geschrieben hatten, dann wusste ja vielleicht die Enkelin gar nichts davon. Mir war ziemlich bange, als wir vor dem Haus ankamen. Da fiel schon eine junge hübsche Frau Paul um den Hals, »Opa«, rief sie und schluchzte. »komm rein, ich habe es allen schon gesagt und sie freuen sich sehr, dass ich Dir geschrieben habe!«

Ich hängte mich an einen Ast gegenüber und überlegte, wie die Maleachs das hinbekommen hatten. »Sie hat ihn selbst geschrieben!« Flüsterte mir jemand ins Ohr. Vor Schreck fiel ich fast runter. »Hey, fall nicht!« sagte der riesige Maleach, der sich hinter mich auf einen Ast gestellt hatte. »Wollte doch sehen, wie es ausgeht. Das hast Du gut gemacht mit unserem Paul, du freche Uiih. Aber wir mussten gar keinen Brief schreiben. Das war seine Enkelin von ganz alleine. Manchmal brauchen sie unsere Hilfe, aber manchmal, wenn sie es zulassen, kommt der Friede von Weihnachten von ganz alleine in ihre Herzen.« Gemeinsam schauten wir hoch in den vierten Stock. Am Fenster stand ein kleiner blonder Junge und schaute mit großen Augen und voller Begeisterung aus dem Fenster. Er rief irgendetwas, »Opa ist da«, hieß das wohl, und noch: »Es ist Weihnachten!« 

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2021

Wie wir so miteinander im Dachstuhl der Kirche herumhingen, alle dösten so vor sich hin, wir hatten ja nicht so viel Zeit weil die Tage kürzer werden, fing plötzlich meine eine Schwester an, uns am Schlafen zu hindern. Sie versuchte allerdings, uns nicht zu wecken, als sie Oma leise fragte: »Oma, wieso eigentlich der Stern?« Oma gähnte erstmal kräftig. »Stern?« fragte sie und öffnete langsam ein Auge. »ja, wegen der ganzen Engel! Wozu brauchte es denn dann diesen Stern?« »Engel, das heißt Maleachs« sagte unsere Oma und verwendete den himmlischen Namen für die Boten Gottes. »Eine gute Frage!« sagte nun eine andere leise und sehr wohlklingende Stimme, sie gehörte unserer Uroma, die heute bei uns abhing. Und plötzlich waren alle wach. Wenn Uroma sprach, dann hörten alle zu. Und wenn wir hofften, dass sie außer der Reihe, also nicht erst an Heiligabend, von damals erzählte, dann wollten alle jedes Wort mitbekommen.

Normalerweise wird die Weihnachtsgeschichte nur an Heiligabend erzählt. Und da eine unserer Ururururururururur- [von der Redaktion stark gekürzt] Omas direkt im Stall dabei war, werden diese Erinnerungen von Fledermaus zu Fledermaus weitergegeben. Und unsere Uroma war ja viel näher dran als wir. Von mir bis zum Stall in Bethlehem waren es 980 Generationen, bei meiner Uroma nur 978. Gebannt lauschten wir alle fledermäuschenstill, ob sie noch mehr sagen würde und wir sie zu weiteren Erzählungen bringen würden. »Der Stern ist so ein schönes Symbol« erklang es aus ihrem Mund, »er war auch ein Bote, ein Bote für die ganze Welt, das alle sehen sollten, dass AEIOU [Anm. d. Red. So nennen die Fledermäuse Gott, den Herrn, es bedeutet ungefähr: »der, der alles in allem ist«] damals in einem Stall ein Menschenjunges geworden ist. Und zur Erinnerung hängen sie Strohsterne und Lichtsterne auf.« »Ich liebe Strohsterne« rief eine meiner Schwestern. »Ich liebe Sternkekse« juchzte einer meiner Brüder. Bei uns denken die Männchen anscheinend immer nur ans Essen, fast immer. Ist das bei euch auch so?

»Uromi« wagte ich nun zu sagen, »und die Maleachs? Was war dann ihre Aufgabe?« Wir Fledermäuse lieben Geschichten von den Engeln. Sie sind die einzigen großen Wesen, die uns alle verstehen. Von den Menschen haben wir wenige getroffen, die uns verstehen, das Menschenjunge in Bethlehem gehörte dazu. Ich hatte es geschafft, Uromi erzählte von dem Maleach, der zu Maria kam, um ihr zu sagen, dass sie AEIOUs Menschenjunges zur Welt bringen würde. Und dann wie derselbe riesige Maleach im Stall dafür sorgte, dass alle Tiere, die dort nicht hineingehörten wie Flöhe, Mäuse und so, aus dem Stall verschwanden, unsere Vorfahrin aber heimlich wieder hineinschlüpfte und mitbekam, wie Maria das Menschenjunge zur Welt brachte. Uroma erzählte von den vielen Maleachs und wie sie sangen und unsere Vorfahrin mitten unter ihnen saß. Es war ganz still. Wir sahen die Geschichte richtig vor uns. Und da schaute Uromi mich an. »Weißt Du jetzt, warum deine Frage verkehrt war?« Ich fand sie eigentlich toll, weil sie uns diese lange Geschichte beschert hatte, ich schüttelte den Kopf. »Vergangenheit und Gegenwart ist bei unseren geflügelten Geschwistern eins. Es war nicht ihre Aufgabe, es ist es noch. Den Menschen von Gottes Liebe zu erzählen!« Einer meiner Brüder protestierte plötzlich: »Warum nur den Menschen eigentlich?« Wir Mädchen schüttelten wissend den Kopf, und Mama sagte: »Schatz, sie sind die einzigen, denen man das jedes Jahr wieder erklären muss. Alle anderen wissen es immer.«

Ich musste Uroma noch etwas fragen: »Uromi, heißt das, dass sie immer noch unterwegs sind bei den Menschen? Wenn es doch ihre Aufgabe ist?« »Du kluge Uiiiiiih [Anm. d. Red.: wir haben ihr den Namen Sophie, »die Weise« gegeben], ich bin mir sicher, dass dieses Jahr ein besonderes Weihnachtsfest für uns alle wird. Ich habe schon viele von ihnen gesehen, viel mehr als sonst. Ja, sie sind schon unterwegs.« Mama ermahnte uns, dass wir nun noch etwas schlafen müssten, bevor die Sonne untergeht und wir alle auf Futtersuche loszögen. Aber ich dachte nicht ans Essen, ich wollte so schnell wie möglich los, um die Maleachs zu suchen. Ich wollte endlich selbst einen sehen, genetisches Gedächtnis hin oder her.

Macht ihr auch die Augen auf, lieber Kinder. Dieses Jahr ist alles anders. Aber Uroma sagt, dass viel mehr Engel unterwegs sind als sonst, um für viel mehr Weihnachtsfreude zu sorgen.
Frohe Weihnachten!!!! 
Eure Sophie

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2020

Das Lied kennt jeder, und manche mögen es sogar lieber als das unsterbliche "Stille Nacht": Anders als die innig-zarte Weise aus dem Alpenland steht "O du fröhliche" für die ausgelassene, strahlende Seite des Festes. Kein Wunder, stammt die ebenso muntere wie feierlich getragenene Melodien wohl aus dem Fundus sizilianischer Schiffer- oder Hochzeitslieder.

Aber wer hat es nach Deutschland gebracht und mit dem weihnachtlichen Text versehen? Ein barkocker Hofkapellmeister? Ein Opernkomponist? Nein, es waren zwei eher nüchterne Leute aus Weimar: der Dichter, Theologe und Kulturphilosoph Johann Gottfried Herder, der seine Inspiration möglicherweise von einer Italienreise mit nach Deutschland brachte, und ein Privatgelehrter der pädagogischen Wissenschaft namens Johannes Daniel Falk, der etwas schwerfällige Verse verfasste - und als Begründer der Sozialarbeit mit Jugendlichen gilt.

Falk schrieb viel, zahllose Gedichte, ein "Geheimes Tagebuch", ein einfühlsames Porträt Goethes; alles ist vergessen, bis auf das international bekannte Weihnachtslied, und seine Arbeit brachte ihm auch damals weder Ruhm noch Geld. Bis 1806 die Kriegsfurie über das stille Weimar hereinbrach: Flüchtlingsfamilien in panischer Angst, zersprengte Haufen der preußischen Armee, schließlich die siegreichen napoleonischen Truppen, 50.000 Mann stark, eine zerstörerische, raubgierige, gewalttätige Soldateska.

Da wurde aus dem verträumten Privatgelehrten plötzlich ein Held. Falk stellte sich den Marodeuren entgegen, trieb Lebensmittel und Quartiere auf, um sie vom Plündern abzuhaltn. Für die Kriegskrüppel, Obdachlosen und Hungernden leitete er Hilfsmaßnahmen in die Wege.

Und er öffnete sein Haus für die halb verhungerten, verwahrlosten Waisen, die mit Napoleons Soldaten durch die Lande zogen. Er mietete einen leerstehenden Hof, richtete ihn als Schule ein, suchte und fand Pflegefamilien, vermittelte den Halbwüchsigen Lehrstellen bei Weimarer Handwerksmeistern. Die "Gesellschaft der Freunde in der Not", die Falk für seine kleinen Streuner gründete, war vermutlich die erste sozialpädagogisch orientierte Bürgerinitiative Deutschlands. Falks Erziehung folge freiheitlichen, höchst modernen Prinzipien.

Den Text des strahlend-schnönen Weihnachtslieds schrieb Johannes Daniel Falk 1816, zehn Jahre vor seinem Tod, und die Menschen verliebten sich sich sofort in "O du fröhliche": Der sonst eher spröde Geheimrat Goethe gestand, er sei vom "schlichten Glanz" des Liedes "hingerissen".

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" Weihnachten 2022

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war. 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. 8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. 15 Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. 

Der Tank ist leer. Nächste Tankstelle in etwa zwei Kilometern. Das schaffe ich noch. Als ich ankomme sind vier Zapfsäulen belegt. Ich halte gegenüber eines Ford Kuga. Der scheint gerade zu bezahlen. Wir stehen gegenüber, Motorhaube an Motorhaube. Auf dem Beifahrersitz eine junge Frau. Gerade habe ich den Motor ausgeschaltet, da kommt schon die Fahrerin des Ford und steigt ein. Glück gehabt. Das ging schnell. Ich starte den Motor. Sie nicht. Sie unterhält sich mit ihrer Beifahrerin. Könnte die Tochter sein. Die Mutter, wenn sie es denn ist, verstaut irgendwas im Handschuhfach, wahrscheinlich das Portemonnaie. Nun aber. Nee, jetzt beugt sie sich zur Tochter, klappt die Sonnenblende herunter - gibt`s das?! - und zieht sich den Lippenstift nach. Sieht sie nicht, dass ich hier warte? Etwas schräg nach rechts gebeugt tippt die Tochter irgendwas in ihr Handy. Eng dort auf dem Beifahrersitz. So, der Lippenstift sitzt. Sonnenblende wieder hoch. Können wir jetzt? Ach ja, nee! Die Mutter übernimmt nun das Telefon. Ja, geht`s noch?!

Eine halbe Stunde später steigt sie aus. Öffnet den Kofferraum. Holt eine Jacke. Hat sie keine Heizung im Auto? Die Tochter sucht vorne am Lenker irgendwas. Steigt aus, schüttelt den Kopf. Jetzt guckt die Fahrerin auch am Lenker. Die Jacke hat sie inzwischen angezogen. Ich fass es nicht. Die Motorhaube geht auf. Klar. Spritzwasser. Daher die Jacke. Wie kann man so lange brauchen, um den Einfüllstutzen für das Spritzwasser zu finden?! Vielleicht noch Öl nachfüllen?! Oder Batterie wechseln?! Oder den Motor austauschen?! Darf ich bitte tanken? Bitte!

Ich kann nicht weg. Es steht jemand hinter mir und versperrt den Weg. Blödmann. Um mich herum wird fröhlich getankt.

Es ist Nacht geworden. In fünf Minuten schließt die Tankstelle. Die Musik aus dem Ford dröhnt laut. Die Tochter tanzt draußen vor dem Auto mit einem jungen Mann. Im Kuga ist es eng geworden. Drei junge Leute sind vor fünf Stunden zu den Frauen gekommen. Sie hatten einen Kasten Bier dabei. Ein Pizzataxi fuhr bald danach vor und schob fünf große Pizzen in den Kuga. Jetzt bauen sie ein Zelt neben dem Ford auf. Holen Stühle raus und einen Campingtisch. Mir ist kalt und ich hab`s eilig.

Drei Tage später startet der Ford vor mir. Mein Leben ist mehrfach an mir vorbei gezogen. Mutter und Tochter nicken mir lächelnd zu und fahren davon.

Ich gucke auf die Uhr. Nicht ganz eine Minute ist vergangen, seit ich an der Tankstelle vorgefahren bin.

Im Wagen hinter mir sitzt Jesus. Soso, der hat mich hier also zugeparkt. Er grüßt seelenruhig, als ich mich umdrehe. Wie kann er so geduldig warten? Es gibt so viel zu tun. Besonders doch für ihn.

Als ich die fünf Meter vorrolle denke ich nach. Von Geduld ist noch niemand krank geworden. Von Ungeduld schon. Der Lehrer sagte in der Grundschule früher, dass Adventszeit Wartezeit bedeutet. Das habe ich behalten. Sollte ich vielleicht die vier Wochen Advent als Trainingslager nutzen? Warten üben? Geduld trainieren?

Die Minuten vergehen, während ich so in Gedanken versinke. Als ich endlich aussteige und den Diesel einfüllen will, nickt Jesus mir zu. Auf die Gesundheit, sage ich leise und lasse ihn dann vor. ER hat ja wirklich viel zu tun.

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2021

Als ich dieses Jahr meine Pyramide und die Krippe und die 32 Weihnachtsengel wieder einpackte, behielt ich den letzten in der Hand. "Du bleibst", sagte ich, "Du kommst auf meinen Schreibtisch. Ich brauche ein bisschen Weihnachtsfreude für das ganze Jahr." "Da hast du aber Glück gehabt", sagte er. "Wieso?", fragte ich ihn. "Na, ich bin doch der einzige Engel, der reden kann." Stimmt! Jetzt erst fiel es mir ein. Ein Engel, der reden kann? Das gibt es ja gar nicht. In meiner ganzen Verwandschaft und Bekanntschaft ist das noch nie vorgekommen. Da hatte ich wirklich Glück gehabt.

"Wieso kannst du eigentich reden? Das gibt es doch gar nicht. Du bist doch aus Holz!" "Das ist so. Nur wenn jemand nach Weihnachten einen Engel zurückbehält, nicht aus Versehen oder weil er sich nichts dabei gedacht hat, sondern wegen der Weihnachtsfreude, wie bei dir, dann können wir reden. Aber es kommt ziemlich selten vor. Übrigens heiße ich Heinrich." "Heinrich? Bist du denn ein Junge? Du hast doch ein Kleid an." Heinrich trägt nämlich ein langes rotes Gewand. "Das ist reine Modefrage. Hast du schon einmal einen Engel in Hosen gesehen? Na also."

Seitdem steht Heinricht auf meinem Schreibtisch. In seinen Händen trägt er einen goldenen Papierkorb, oder vielmehr einen Müllkorb. Ich dachte erst, es sei nur ein Kerzenhalter, aber da hatte ich mich geirrt, wie ihr gleich sehen werdet.

Heinrich stand gewöhnlich still an seinem Platz, hinter der rechten Ecke meiner grünen Schreibunterlage (grün und rot passen so gut zusammen!) und direkt vor ein paar Büchern, zwei Bibeln, einem Gesangbuch, einem Bändchen mit Gebeten und den Herrnhuter Losungen. Und wenn ich mich über irgendetwas ärgere, hält er mir seinen Müllkorb hin und sagt: "Wirf rein!" Ich werfe meinen Ärger hinein - und weg ist er! Manchmal ist es ein kleiner Ärger, zum Beispiel wenn ich wieder meinen Kugelschreiber verlegt habe oder eine fremde Katze in unserer Gartenlaube vier Junge geworfen hat. Es kann aber auch ein großer Ärger sein oder eine große Not oder ein großer Schmerz, mit dem ich nicht fertig werde, zum Beispiel als kürzlich ein Vater und eine Mutter erfahren mussten, dass ihr fünfjähriges Mädchen an einer Krankheit leidet, die nie mehr zu heilen ist. Wie soll man da helfen! Wie soll man da trösten! Ich wusste es nicht. "Wirf rein!", sagte Heinrich, und ich warf meinen Kummer in seinen Müllkorb.

Eines Tages fiel mir auf, dass Heinrichs Müllkorb immer gleib wieder leer war. "Wohin bringst du das alles?" "In die Krippe", sagte er. "Ist denn so viel Platz in der kleinen Krippe?" Heinricht lachte. "Pass auf! In der Krippe liegt ein Kind, das ist noch kleiner als die Krippe. Und sein Herz noch viel, viel kleiner." Er nahm seinen Kerzenhalter unter den linken Arm und zeigte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand - wie klein! "Denn deinen Kummer lege ich in Wahrheit gar nicht in die Krippe, sondern in das Herz dieses Kindes. Verstehts du das?" Ich dachte lange nach. "Das ist schwer zu verstehen. Und trotzdem freue ich mich. Komisch, was?" Heinrich runzelte die Strin. "Das ist gar nicht komisch, sondern die Weihnachtsfreude, verstanden?" Auf einmal wollte ich Heinrich noch vieles fragen, aber er legte den Finger auf den Mund. "Pst!", sagte er. "Nicht reden! Freuen!"

Behaltet doch mal einen Engel zurück, wegen der Weihnachtsfreude. Und spitzt die Ohren. Hört ihr's? "Wirf rein!"

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2020

Zwei- Dreimal werden wir noch wach - heissa. Dann ist es da: Weihnachtsbaum, schönes Essen, Zeit für die Familie. Und Geschenke!

Ich hätte jetzt auch mit der Datumsfrage anfangen können: 24.12., 25.12. oder 06.01. oder 07.01. oder erst 18.01. - aber dafür gibt es ja wikipedia!

Wann ist Weihnachten? Im Kern geht es um eine Geschichte. Gott wird Mensch. Er der Ewige verändert sich, um uns und die Welt zu verändern.

Die Geschichte, die der Evangelist Lukas dazu erzählt, beginnt bei dem Kaiser Augustus in Rom. Einem der mächtigsten Herrscher, die es jemals gegeben hat. Der Kaiser will wissen, wer ihm alles Steuern zahlen muss. Darum müssen sich alle in ihre Heimatstädte begeben. Ohne Wenn und Aber. Und so muss auch Josef mit seiner schwangeren Frau Maria aus Nazareth im Norden Israels gen Süden reisen, in eine kleine Stadt namens Bethlehem. Dort ist alles gerammelt voll. Es gibt keine Zimmer mehr in den Hotels. Und so landen sie in einem Stall. Und dort, in unhygienischen Umständen, bringt Maria ihren Sohn zur Welt, mitten im Dreck.

Ganz normal, wie so viele Menschen auch heute noch geboren werden auf dieser Welt. Doch dann greift der Himmel ein. engel erzählen Hirten auf dem Felde, dass der Heiland geboren ist. Und diese Hirten sind die ersten Zeugen an der Krippe. Und da ist sie kurz da, die heile Welt, an der Krippe dieses Heilands. Der Himmel ist offen, rauhe Gesellen staunen stumm und die Engel singen.

Doch das ist nur kurz. Schon bald trachtet der König Herodes dem Kind nach dem Leben und die junge Familie muss fliehen. Schon ist sie wieder kaputt, die heile Welt.

Eine uralte Geschichte und weit weg.

Sie schildert die Welt, die immer auf Macht und Stärke vertraut. Doch der Friedenskönig kommt als kleines Kind.

Sie schildert die Welt, in der die Reichen wegen noch mehr Geld, die Armen herumstoßen - doch Gott wird Kind in einem ollen Stall.

Sie schildert die Welt, in der Diktatoren Menschen zur Flucht zwingen - und Gottes Kind flieht. Und viele Millionen sind heute auf der Flucht und suchen Unterkunft und Schutz und werden fast überall abgewiesen.

Die Weihnachtsbotschaft werden wir in diesem Jahr wieder ganz anders und neu hören. Sie war ursprünglich immer eine Erzählung von einem hellen strahlenden Licht in der Dunkelheit und wollte uns das Entdecken und Hinsehen lehren. Wann bauen Sie die Krippe auf? Bei uns wird sie zum 1.Advent aufgebaut, aber noch mit dem verschlossenem Stall. Es bleibt noch halb verborgen. Es gibt noch viel Neues zu entdecken in dieser Botschaft. Und diese Botschaft leuchtet besonders stark, wo die Sorge, die Dunkelheit und die Einsamkeit am Größten sind.

Das Licht von Weihnachten möchte unsere Herzen hell machen, hineinkommen in unsere Sorgen und Ängste, in unsere Einsamkeit. Damit wir spüren, dass er auch zu uns kommt. Und natürlich auch, damit wir es ihm anschließend gleich tun: Menschen werden.

Und wo wir dieses Licht in unsere Herzen lassen, wo wir spüren, dass er zu uns gekommen ist, da ist Weihnachten.

Aus der Ausgabe "Auf Kurs" November 2020